Berichte von 08/2018

Dienstag, 21.08.2018

Schon aufgeregt?

Ich packe meinen Koffer, und ich nehme mit: Angst? „Schon aufgeregt?“ ist wohl die mir am meisten gestellte Frage der letzten drei Wochen. Natürlich, sage ich dann immer, wie auch nicht. Aber wieso eigentlich? Was bedeutet es, vor einem Jahr Auslandseinsatz zu stehen?

Bald ist es soweit: der Tag der Ausreise naht mit großen Schritten. Viel zu kurz waren die letzten vier Wochen in Deutschland, die To-Do-Liste noch lang. Nervosität oder Hysterie würde jetzt alles schlimmer machen, Ruhe bewahren ist genauso wichtig wie in jeder anderen angespannten Situation auch. Trotzdem behaupten viele in meiner Situation „aufgeregt“ zu sein. Angst ist das nicht, obwohl manche die Phrase „sich aufregen“ erstmal negativ verknüpfen. Was sonst, wenn nicht Angst? Grundsätzlich, sollte ich hier anmerken, besteht überhaupt kein Grund zur Sorge. Die zwei intensiven Vorbereitungsseminare, ergänzt durch die länderspezifische Vorbereitung, waren definitv ausreichend, um mich flächendeckend auf eine ganze Reihe von Ausnahmesituationen vorzubereiten. Vor Ort sowie in Deutschland sind praktisch jederzeit Ansprechpartner verfügbar. Natürlich ist der Weltfreiwilligendienst aber auch ein Sprung ins kalte Wasser: ganz genau weiß keiner von uns, was auf ihn zukommt, trotz aller Vorbereitung. Und auch ganz grundsätzliche Ängste wie Flugangst oder Angst vor gefährlichen Tieren lassen sich nicht einfach wegzaubern. Außerdem: Mit jedem Abschied wächst auch die emotionale Belastung. Ich habe im Juni das Gymnasium verlassen und muss mich von meinen Schulfreunden verabschieden, die sich in meiner Abwesenheit in ganz Deutschland und Europa zerstreuen, um zu studieren. Ständig erwische ich mich in Gedanken, von wem ich mich noch verabschieden möchte, und wen ich möglicherweise übersehen habe. Ein Jahr ist gleichzeitig eine lange Zeit und keine lange Zeit. Es ist wichtig, ordentlich abzuschließen, und nicht Hals über Kopf ins Ausland zu flüchten. Den Kopf freimachen, für etwas neues.

Ich packe also meinen Koffer, und ich nehme mit: Meinen Kopf, inklusive Verstand, in der Hoffnung, dass er mir etwas nützt. Ich möchte und soll Teile meines Wissens weitergeben. Im Gegenzug würde ich gerne neues Wissen aufnehmen. Deswegen packe ich auch ein: Neugierde. Teil der Aufregung ist sicher das Verlangen danach endlich mehr zu erfahren, die Menschen in der Einsatzstelle zu treffen oder das Land zu sehen. Dafür brauche ich: Zeit. Selbstverständlich wird mir die Eingliederung in mein neues Umfeld nicht so leicht fallen wie ich das gerne hätte, mich einzuleben und umzustellen wird Überwindung und Nerven kosten. Trotzdem hoffe ich aber, den Stress und die Hektik der Vorbereitungszeit im Flugzeug hinter mir zu lassen, um mit Ruhe in Brasilien anzukommen.

Ich bin davon überzeugt, dass viele derer, die von sich behaupten, aufgeregt zu sein, nicht ganz unrecht haben. In gewisser Weise ist es Wortklauberei sich darüber zu streiten, was das genau bedeutet, und was nicht. Jeder ist auf eine eigene Weise aufgeregt, ob man sich auf etwas besonderes freut oder gar wegen etwas nervös ist. Vielleicht sind sogar die Menschen, die mich danach fragen, wie aufgeregt ich bin, zusammen genommen aufgeregter als ich. Im Endeffekt kommt es nicht darauf an, wer sich die meisten Haare ausgerissen oder die meisten Tränen vergossen hat. Also schlage ich vor, die Frage „Schon aufgeregt?“ aus dem Sprachgebrauch zu streichen, und nach und nach durch Wichtigeres wie „Auf was freust du dich?“ und „Hast du genug Sonnencreme eingepackt?“ zu ersetzen. Ich packe meinen Koffer, aber der Platz ist begrenzt, alles kann ich nicht einpacken. Aber ich entscheide, was ich mitnehmen will, und was ich lieber zurück­lasse.

 

 

von Jakob